Hindenburgstraße – ein Nazi-Denkmal

Stellen Sie sich vor, Sie fahren an einem schönen, sonnigen Nachmittag von Esslingen kommend die Weinberge hinunter nach Stetten hinein.

Fröhliche Stimmung.

Aber, oh Schreck, was lesen Sie auf dem ersten Straßenschild unten in Stetten: Hitler-Straße!

In Kernen gibt es noch eine solche Nazi-Propaganda? Die fröhliche Stimmung – wie weggeblasen – was für ein Alptraum.

Ein Alptraum – aber Gott sei Dank keine Realität mehr.

Wenn man im Gemeindearchiv nachforscht, findet man einen Gemeinderatsbeschluss bereits vom Mai 1933, in dem die Lange Straße in Hitler-Straße umbenannt wird.

Zur Erinnerung:

Hindenburg hat am 30. Januar 1933 Hitler zum Kanzler ernannt. Am 24.3.1933 hat er mit Hitler gemeinsam das Ermächtigungsgesetz unterzeichnet, auf der Grundlage der Gleichschaltungsgesetze wurden die Gemeinderäte ohne Wahl neu besetzt, und so wurde der Einfluss der NSDAP gestärkt, auch in Stetten.
Und gleich in der ersten Gemeinderatssitzung nach dieser undemokratischen Neubesetzung beantragte die NSDAP die Umbenennung der Straße.

Es ging also um Nazipropaganda, um Führerkult, um Machtanspruch.

Folgerichtig hat 1945 nach dem Krieg die Militärregierung verfügt, dass solche Nazipropaganda entfernt werden muss.

Liest man das Protokoll der damaligen Gemeinderatssitzung, dann erfährt man Genaueres: Ich zitiere:
„Vom Fraktionsvorsitzenden der NSDAP wird der Antrag gestellt, zu Ehren des Herrn Reichspräsidenten die Obere Strasse in Hindenburgstrasse und zu Ehren des Herrn Reichskanzlers, die Lange Strasse in Hitler-Strasse umzubennen.“

In der Aussprache ist dann entsprechend von den „beiden großen Führern Deutschlands“ die Rede.
Also: Nicht nur die Hitler-Straße war Nazi-Propaganda, sondern ganz klar auch die Hindenburgstraße!

Nimmer wird das Reich zerstöret – wenn ihr einig seid und treu“ – Wahlplakat 1933
© Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr.: P 62/260
https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/bauer-nimmer-wird-das-reich-zerstoeret-1933


Am 16.8.45 verfügt die amerikanische Militärregierung, dass alle belasteten Straßennamen wieder in die ursprünglichen Namen umbenannt werden und entsprechende Denkmäler entfernt werden.
Dieser Verfügung entspricht die Gemeinde Stetten und berichtet am 18.8.1945:
„1. In Stetten i.R. gab es eine Hitler- u. eine Hindenburgstrasse. An der Glockenkelter, dem früheren Hitlerjugend- u. Partei-Heim hatte der Ortsgruppenleiter eine Gedenktafel anbringen lassen, die seine Verdienste verewigen sollte.

Die Hitlerstrasse heisst heute wieder wie früher „Lange Gasse“, die Hindenburgstrasse ebenso wie früher „Obere Gasse“.

Die Gedenktafel an der Glockenkelter hat der Ortsgruppenleiter eigenhändig entfernt.
…“

Der Gemeinde ist also klar, dass die Hindenburgstraße zu den belasteten Straßennamen gehört und auf der gleichen Ebene wie die Hitler-Straße zu behandeln ist.

Erstaunlicher Weise hängen diese Schilder mit der Nazi-Propaganda heute immer noch, obwohl die Straße 1945 zurückbenannt worden ist. Vermutlich hat der damalige Bürgermeister Vollzug gemeldet, aber die Schilder nicht abhängen lassen.

Ebbe Kögel hat daher jahrzehntelang zu Recht gefordert, dass der Name Hindenburg weg muss.

Es ist ein Skandal, dass wir immer noch mitten in Stetten Nazi-Propaganda dulden.

Erinnerungskultur sieht anders aus.

Die gibt es Gott sei Dank auch. Z.B. das Schild am Pfarrhaus, das an die mutige Pfarrfrau Hildegard Spieth erinnert, die ein jüdisches Ehepaar versteckt hat.

Oder das Denkmal Zwangsarbeit bei der Glockenkelter.

Makaber ist nur, dass diese zwei Denkmale kommentarlos durch die Hindenburgstraße verbunden werden, wir gedenken der Opfer und machen Propaganda für die Täter.

Das ist für mich Skandal 1.

Skandal 2: Wir haben eine Hindenburgstraße, wir haben Straßen, die nach August Lämmle und Hans Reyhing benannt sind, beides glühende Hitlerverehrer, wir haben eine Straße, die nach Ernst Heinkel benannt ist, einem Profiteur von Krieg und Zwangsarbeit.

Aber wir haben keine Straßen, die an Menschen erinnern, die sich für Freiheit und Demokratie eingesetzt und gegen den Faschismus gekämpft haben.

Ich denke da zum Beispiel an Hermann Medinger, der 1933 die Rundfunk-Übertragung einer Hitler-Rede unterbrochen hat, indem er das Übertragungskabel mit einem Beil durchtrennt hat.

Oder ich denke an überregional bekannte Persönlichkeiten wie Sophie-Scholl.

Skandal 3: Es gibt in ganz Kernen keine einzige Straße mit einem weiblichen Namen – eigentlich unvorstellbar – Frauen kommen einfach nicht vor, keine Schriftstellerinnen, keine Musikerinnen, keine Wissenschaftlerinnen, nicht einmal weibliche Vornamen wie Maria oder Elisabeth, sondern nur Eugen, Friedrich usw.

Mein Appell, der all diese Skandale mit einem Schlag beseitigt:

Die Hindenburgstraße wird in Hildegard-Spieth-Straße umbenannt.

Die erst 24 Jahre alte Pfarrfrau und Mutter, deren Mann hatte einrücken müssen, hat dem jüdischen Ehepaar Max und Karoline Kraukauer 1945 trotz großer Gefahr Zuflucht gewährt und so das Leben gerettet.

Die Erinnerung an diese Frau hält die Erinnerung an die schrecklichen Zeiten wach, gleichzeitig kann sie ermutigen, menschlich zu handeln.

Eigentlich wäre das Gartenschaujahr der richtige Zeitpunkt für eine solche Umbenennung gewesen. Leider hat der Gemeinderat diese Gelegenheit nicht genutzt.

Daher richte ich mich vielmehr mit meinem Appell zunächst an gesellschaftliche Institutionen:

  • an die Frauenverbände,
  • an die Kirchen,
  • an die Gewerkschaften,
  • aber auch an die engagierte Öffentlichkeit.


In den meisten Orten, in denen beantragt worden ist, eine Hindenburgstraße umzubenennen, ging die Initiative von der SPD aus. Das ist verständlich: Hindenburg hat ja nicht nur Hitler an die Macht gebracht, auch sämtliche grundlegenden Gesetze, die bereits 1933 zur Verfolgung von Juden, von Kommunisten, der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie geführt haben, sind von ihm unterschrieben.

So ein Antrag ist ein Akt der Solidarität mit den Opfern.

Straßennamen – ein eher untergeordnetes Thema. Aber wenn man es sich genau überlegt, sind sie eine Visitenkarte einer Gemeinde.

Michael Burger

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